Das Markenzeichen der Neumünsteraner Kinderbuchillustratorin Ann Cathrin Raab? Allerfeinste Kritzelei!
Nur wenige Schritte vom Wohnzimmer entfernt liegt das Atelier von Ann Cathrin Raab, ein schöner heller Raum mit Blick auf den grünen Vorgarten. An der einen Wand stehen Regale voller Bücher, Materialien und Utensilien, eines davon von oben bis unten bestückt mit den Werken der Neumünsteranerin. Und an den anderen Wänden hängen Bilder. Einige zeigen kleine Tupfen und Kleckse, sie laden dazu ein, näherzutreten und genauer hinzusehen. Aber huch … das sind ja gar keine willkürlichen Flecken, sondern richtige Persönlichkeiten, die dort an der Wand tanzen. Und wirft man dann einen genauen Blick auf Ann Cathrins Schreibtisch, wird klar, dass dieser ganze Raum voll ist mit solch fantastischen Wesen.
Des Nachts
Hier in diesem Atelier kommen sie auf die Welt, die Ideen und Figuren, die in Ann Cathrins Fantasie ihren Ursprung finden. Eine Frage, die die meisten Kreativen sicher leidig finden, aber immer gestellt wird, bahnt sich ihren Weg: „Wie kommst du zu deinen Ideen?“ – „Na, so wie andere Menschen auch: abends, wenn man im Bett liegt und eigentlich zur Ruhe kommen will“, antwortet Ann Cathrin lachend.
Durch ihre jahrelange Erfahrung habe sie sich zwar Techniken angeeignet, um auf neue Ideen zu kommen, „aber 100-prozentig funktioniert das nie. Das ist eben kreative Arbeit!“ Ganz sicher weiß sie aber, dass die besten Einfälle zu einer bestimmten Zeit auftauchen: „Meistens in Stressphasen, da sprudeln die Ideen. Wenn man eigentlich gar keine Zeit für sie hat, dann kommen sie alle – und werden erst einmal auf Papier gebannt und in einen Karton gelegt.“ Ein Blitzen keimt in Ann Cathrins Augen auf: „Aber tatsächlich, wo kommen die Ideen her? Vielleicht sollte ich darüber mal ein Buch machen“, sagt sie schmunzelnd.
Ungewohnte Wege
Es folgt eine Frage, die an eine bekannte philosophische Grundsatzdiskussion erinnert: „Sind zuerst die Bilder oder der Text da?“ – „Meist zuerst das Thema, das wird aber ganz schnell bildlich. Bei den letzten beiden Büchern war es tatsächlich so, dass sie komplett in meinem Kopf entstanden sind. Ich hatte das Konzept, die Geschichte, die Bilder … Es war alles fertig – nur der Text noch nicht.“ Mit der Buchidee zu ihrem aktuellen Werk „Fadenwirrwarr“ wandte sie sich an eine Autorin, die sie schon von anderen Projekten kannte.
„Mareike Postel und ich wurden vor einigen Jahren zusammengebracht – ganz ungewohnt für mich. Bis dahin stellte ich mich – anders als die meisten Illustrator*innen – mit fertigen Konzepten bei Verlagen vor, für die ich selbst Text und Bilder erstellt hatte.“ Sie erhielt die Anfrage, einen Text der Autorin zu illustrieren. „Das war richtig toll, der Text war genau meins!“ Eine Zusammenarbeit begann, die immer wieder neue Früchte trägt.
Stilfindung
Das Besondere am Sujet Illustration ist, dass Künstler*innen häufig einen bestimmten Stil mitbringen. Wann hat Ann Cathrin Raab ihre Handschrift gefunden? Als sie zu studieren begann, war ihr die Richtung, die sie einschlagen wollte, noch nicht ganz klar. Der Diplomstudiengang, den sie damals an der HAW in Hamburg absolvierte, vereinte Kommunikationsdesign und Illustration. „Ich dachte, ich gehe vielleicht mal in die Werbung“, erzählt Ann Cathrin, „aber nach ein paar Semestern habe ich gemerkt: Das ist mir zu wenig handwerklich.“
Sie legte den Schwerpunkt auf die Illustration. Und schon zur Zwischenprüfung landete sie ihren ersten Erfolg: Ihr Erstlingswerk „Zeckengeflüster“ erschien in einem französischen Verlag. Das Bilderbuch kam später auch auf Deutsch heraus und erhielt mehrere Auszeichnungen, Originale daraus wurden sogar in China ausgestellt. Fast zeitgleich, kurz vor ihrem Diplom, stellte ihr Professor für eine Zusammenarbeit mit dem Oetinger-Verlag eine Projektgruppe zusammen: die Krickelkrakels. Es entstand eine Reihe an innovativen Mal- und Kreativbüchern im Kritzel-Stil. Ann Cathrins Entwurf schaffte es auf das Cover des ersten Bands. „Dank all dem hatte ich einen Fuß in der Tür.“
Die Zutat Zufall
„Meine Bücher haben gerne mal Nonsens drin, gehen in die abstraktere Richtung. Sie bilden nicht nur ab, was im Text geschieht, sondern regen zum Weiterdenken an“, erklärt die Illustratorin. Bekommt sie auch Inspiration durch ihre eigenen Kinder? „Definitiv! Sei es, dass man über bestimmte Themen redet oder Quatsch zusammen macht.“ Aber vor allem hätten ihre Kinder sie darin bestärkt, dass ihre Illustrationskunst wunderbar bei der Zielgruppe ankommt. „Oft besteht der Irrglaube: ,Das verstehen Kinder doch nicht, das ist viel zu grafisch, viel zu abstrakt.‘ Aber das stimmt nicht, denn die kindliche Fantasie kennt noch keine Grenzen.“
Ihre Werke sehen nach Handarbeit aus, aber entsteht heute nicht alles am Computer? „Natürlich wird alles digitaler und ich arbeite mit Grafiktablett und Computer. Aber ich zeichne auch immer noch oft auf Papier, gern mit Zeichenfeder und Tusche, die da durch die Gegend kleckert. Was ich daran schätze, sind die Zufälle, die passieren.“ Sie zeigt auf die Platte des Küchentischs vor uns: „Hier landet vielleicht mal Kaffee auf dem Tisch. Du kannst den Fleck wegwischen – oder ihn dir einfach mal angucken und überlegen, was man darin sehen könnte.“
Kunst mit Kindern
In ihrer Heimatstadt engagiert sich Ann Cathrin als Kunstlehrerin an einer Schule und mit verschiedenen Malkurs-Konzepten, wird für Kreativ-Workshops gebucht und gibt Lesungen. Wie kann man mit seinen Kindern künstlerisch tätig werden? „Materialien stellen, es gibt so viel schönes Material – auch günstig. Bücher vorlesen! Gemeinsam Ausstellungen besuchen. Und ganz wichtig: das Denken ,Das geht doch nicht‘ ablegen. Denn in der Kunst geht es eben doch. Da ist alles offen. Da geht alles! Warum sollten wir das nicht nutzen?“
Eine kleine Auswahl an Werken von Ann Cathrin Raab:
Fantastisch kreativ
Neles Vater – ein berühmter Seilartist – wird mit der Zeit immer trauriger und Nele fragt sich, ob sie Schuld an der Traurigkeit ihres Vaters hat. Ihre Mutter und der Dumme August erklären Nele, dass ihr Vater eine Krankheit hat. Eine Krankheit der Seele. Auf zauberhafte Weise nähert sich diese Ausgabe für Kinder ab 4 Jahren dem Thema Depression.
Claudia Gliemann & Ann Cathrin Raab, Monterosa, 62 Seiten, 19,80 Euro
Ein Kind entdeckt einen langen roten Faden. Schnell verwirrt sich dieser und das Kind gleich mit. Als es mit einer Schere versucht, dem Chaos Einhalt zu gebieten, wächst aus dem riesigen Fadenwirrwarr plötzlich eine Kreatur mit Eigenleben, das beginnt, mit dem Kind zu interagieren – ein spannendes Hin und Her voller Abenteuer entsteht!
Ann Cathrin Raab & Mareike Postel, Kunstanstifter, 40 Seiten, 20 Euro
Ein schönes Durcheinander ist das! Dutzende winzige Tiere wuseln bunt über weiße Seiten. Auf zwei, vier und mehr Beinen, mit Federn, Flossen und Tentakeln. Krakelig und gut gelaunt. Doch dann ruft jemand zur Ordnung auf – und das große Sortieren beginnt! Das klappt so lange, bis sich plötzlich alle einig sind: Jetzt reicht’s! Ein superlustiges Wimmelbuch für Kinder ab 3 Jahren.
Ann Cathrin Raab, Peter Hammer Verlag, 32 Seiten, 16 Euro
Erfahrt mehr zu Ann Cathrin Raab unter https://anncathrinraab.de.
Text und Fotos: Natalie Zahnow